Marokko Mai – Juni 2005
Ein runder Geburtstag steht vor der Tür, für mich Anlass genug, den Kopf buchstäblich in den Sand zu stecken! Ich will in die Sahara nach Merzouga, zur großen Düne mit Zelt und Motorrad. Zwei Monate Urlaub sind angespart, die Kinder – 21 und 15 Jahre jung – über die Reiseroute informiert und ein starkes Team, um mit unserer längeren Abwesenheit umzugehen. Das Aufbrechen am 1. Mai fällt schwer, doch das Leben besteht von Beginn an aus Abschied nehmen und so sind wir sicher das Richtige zu tun. Viele gute Wünsche und Gedanken begleiten uns.
Auto und Motorradanhänger, mit denen wir „bequem“ durch Europa touren, sollen in Matalascanas am Atlantik bei meinem Cousin Guido parken während wir in Marokko unterwegs sind. 21 Stationen werden uns durch das Land führen, die meisten Nächte verbringen wir auf Campingplätzen, einige in Riads, Pensionen bzw. auf der Berghütte. Vom Atlantik aus nehmen wir die ersten Motorradkilometer in Richtung Algeciras ans Mittelmeer in Angriff. Von hier setzen wir mit der Fähre zur Enklave Ceuta über, nachdem wir uns im Hafen erfolgreich des ersten und einzigen versuchten Raubüberfalls erwehren konnten. Unsere Bikes füllen wir in der spanischen Enklave noch mit sehr preiswertem Benzin und nach 15 km bringen wir die Einreise nach Marokko mit wenigen Problemen recht schnell hinter uns. Für Jürgen und mich steht kurz hinter der Grenze in Fnideq der allseits beschworene Kulturschock an. Ein Umweg leitet uns weg von der Hauptstraße durch Seitengassen mit „Schlachtereien“, Unrat aller Art und erbärmlichem Gestank. Alles Leben spielt sich auf der Straße ab, wo sollen wir hier ein Nachtlager finden? Auf den Motorrädern fühlen wir uns zwar mitten drin im Geschehen aber doch auch recht angreifbar. Später sollen wir uns eingestehen, dass wir beide denselben Gedanken hatten: Eine Tour rund um die iberische Halbinsel sei doch sicherlich auch interessant. Als wir ca. sechs Wochen später die Route zurück Richtung Europa fahren empfinden wir ganz anders; wir haben das Gefühl, bereits wieder in gewohnt europäischer Umgebung zu sein. Genau so wie die Schönheit, liegt wohl auch das vermeintlich Hässliche im Auge des Betrachters. An diesem ersten Motorradtag fahren wir noch bis zum Motel Rif bei Ouazzane und geben einem Zimmer den Vorzug vor unserem Zelt. Am nächsten Morgen genießen wir „das beste Frühstück in ganz Marokko“. So ganz unrecht hatte der Besitzer nicht!
Unser Weg in den Süden führt uns an Moulay Idriss vorbei, das wir mit einem Führer besichtigen, während ein kleiner marokkanischer Junge für einige Dirham über unsere Motorräder mit gesamter Habe wacht. Wie der geneigte Leser merkt, wachsen wir an unseren Aufgaben! Die Stadt gilt vielen Muslimen wegen des Grabes des Staatsgründers Idris I. als heilig und durfte bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht von Ausländern betreten werden. Wir fahren weiter in die Zedernwälder nach Azrou, zum Campingplatz von Hassan. Eine grüne Wiese mit Kirschbäumen begrüßt uns und mit Hassan, der in Köln studiert hat, kommen wir schnell ins Gespräch. Wir unternehmen von hier aus erste Touren auf teils sehr schönen Pisten, die uns durch große Wälder mit teils wunderschönen Zedern führen. Hier tummeln sich wild lebende aber teils auch an Menschen gewöhnte sogenannte Berberaffen, die wir zahlreich zu Gesicht bekommen. Beim Besuch von Ifrane wähnen wir uns in einer modernen französischen Kleinstadt, aber Ifrane liegt in den Bergen des Mittleren Atlas und ist eine marokkanische Universitätsstadt im Skigebiet des Djebel Mischliffen. Natürlich steht auch die etwa 40 m hohe Cédre Goureaud auf dem Programm, sie war angeblich die größte Zeder Marokkos, jedoch ist sie bi unserem Besuch schon länger abgestorben.
Unsere Route verläuft am Fluss Ziz entlang, dessen Wasser Dattelpalmenoasen speist und durch den traumhaften Gorges du Ziz. Theoretisch fließt der Fluss bis Merzouga, praktisch endet er aber je nach Wetterlage und Jahreszeit irgendwo in der Sand- und Felsenwüste. Wir übernachten an der Source bleue de Meski, einer recht touristischen Campinganlage aber die Gegend erlaubt wunderschöne Spaziergänge. Oasengärten, die Palmenoase sowie die alte Kasbah bieten phantastische Anblicke.
Auf der vierten Etappe gelangen wir – fast – bis nach Merzouga, ein kleiner Wüstenort mit etwa 500 Einwohnern zu Füßen der Sanddünen des Erg Chebbi. Bei Erfoud, etwa 45 km nördlich biegen wir auf eine Nebenstraße ab und nach ca. weiteren 15 km beginnt die Piste. Die Einfahrt ist bereits tiefsandig und ich muss Jürgen Recht geben, die Reifen auf der BMW sind sch….. Zudem zieht auch noch ein heftiger Sandsturm auf. Das Sandstrahlgebläse lässt den Blick auf die Piste völlig verschwinden. Die Felgen unserer Räder werden auf der rechten Seite völlig blank geputzt, der einzige angenehme Nebeneffekt. Langsam tasten wir uns südwärts, eine Orientierung ist nur noch nach Himmelsrichtung auf dem GPS möglich. Das schaffen wir nie, denke ich und wohl auch ein vorbeikommender Tourguide, der uns fragt wo wir hin wollen. Wir nennen ihm unser Ziel, eine Unterkunft bei Merzouga und er bietet sich an, uns einen großen Teil der Strecke bis zu seinem Ziel zu führen. Das Angebot schlagen wir nicht aus und zügig geht es durch den Sandsturm, wir wollen unseren Guide ja nicht verlieren. Er fährt schneller als mir lieb ist und auch als ich kann. Auf etwa der Hälfte der Strecke nach Merzouga wende ich die BMW in einer Blitzaktion um 180 Grad, unfreiwillig und in 90 Grad Schräglage endend. Später soll sich bei einer Routineuntersuchung herausstellen, dass sich zwischen Niere und Milz eine Zyste gebildet hat…. ist ja nochmal gut gegangen. BMW mit Jürgens Hilfe aufrichten, wenden und weiter gehts, den Schmerz in der linken Seite überdeckt das Adrenalin fast völlig. Als der Guide zum Dune d´Or seinem Ziel abbiegt steht meine Entscheidung fest: Hier trinken wir nicht nur Tee, das ist unsere Unterkunft, zumindest für heute Nacht! Müde falle ich abends ins Bett – leila saida – gute Nacht! Es war eine gute Entscheidung zu bleiben. Wir finden in dem zwei Tage andauernden Sandsturm eine gemütliche stimmungsvolle Herberge mit Menschen, die sich bemühen, die Zeit äußerst angenehm zu gestalten. Mit uns ist neben einigen Touristen auch ein Werbeteam für einen neuen englischen Geländewagen gestrandet – es wird viel Musik gespielt, gesungen und die erzwungene Ruhe genossen schwia schwia – „Eile mit Weile“ sehr frei übersetzt. Natürlich fahren wir, als sich der Sandsturm gelegt hat, nach Merzouga, meine Reifen und die dicke Kuh verfluchend und wissend, dass Dünen surfen mit Motorrad nicht zu meinen bevorzugten Sportarten gehören wird! Der Abstecher zum Dayet Srij, dem Flamingosee, endet in einem eher trostlosen Anblick, er ist in diesem Jahr leider ausgetrocknet. Alles in allem haben mich die Wüste und seine Bewohner fasziniert, das Virus hat sich eingenistet….. das Licht, die Ruhe, der warme Sand…..ich werde wiederkommen!
Von Merzouga aus brechen wir über eine Piste in Richtung Rissani auf, wo wir in einer Absteige die Nacht verbringen. Unser Ziel ist Tinerhir und der Gorges du Todhra. Tinerhir ist eine Oasenstadt im Hohen Atlas in deren Nähe wir einen schönen Campingplatz finden. Unser zuvor erworbenes Bier kühlen wir in dem kleinen Bach, der hinter unserem Zelt verläuft. Gott sei Dank erfahren wir erst später, dass es sich um heiliges Wasser mit heiligen Fischen gehandelt hat, wer weiß, ob wir uns sonst getraut hätten! Wir touren ein Stück weit in die Todhraschlucht hinein, die uns mit bis zu 300 Meter senkrecht aufragenden Felsen beeindruckt. Die Querverbindung, die über eine Piste in 2800 m Höhe von der Todhra- in die Dadesschlucht führt und mit Motorrad prinzipiell in ca. zwei Tagen machbar ist, trauen wir uns mit den recht schweren und bepackten Maschinen nicht zu. So bleibt es bei dem Abstecher in die Schlucht und über die N 10 gelangen wir nach Boumalne Dades.
Die schöne Kleinstadt Boumalne du Dades lädt ebenso zu Spaziergängen ein wie die Gegend. Mit den Motorrädern besichtigen wir das Rosental, das uns aber eher enttäuscht, und natürlich die Schlucht, die sich dafür mit ihren zahlreichen Kasbahs noch beeindruckender darstellt, als die zuvor besuchte Todhraschlucht. Der Dades ist ein wichtiger Fluss in Marokko und entlang des Vallée du Dades hat sich die berühmte Straße der Kasbahs entwickelt, die mit zahlreichen gut und weniger gut erhaltenen Speicherburgen das Straßenbild gestalten.
In Ouarzazate endet das Vallée du Dades, und wir kommen in einem schönen (touristischen) Riad unter. Unsere Motorräder parken im Innenhof mit Blick auf den großen Pool. Im Berberzelt erleben wir einige nette „Touristenabende“, einzig die israelische Touristengruppe fällt recht unangenehm auf. Die Etappe ist dazu ausersehen einerseits die Stadt selber und andererseits die Gegend zu erkunden. Ouarzazate liegt zwischen den Berghängen des Hohen und des Antiatlas sowie am Dreieck von Dades und Draa, der weiter südlich in der Wüste versickert. Eine der eindrucksvollsten Wohnburgen Marokkos ist noch immer bewohnt und einen Besuch wert. In der Nähe von Ouarzazate befinden sich mehrere Filmstudios, in denen Sequenzen so bekannter Filme wie Gladiator, Lawrence von Arabien, später auch der Medicus, die Päpstin und viele mehr gedreht wurden. Insbesondere das Dorf Ait Benhaddou mit seiner phantastischen Berg- und Oasenkulisse zieht neben den Filmemachern auch Touristen an und so nehmen auch wir die Rundtour durch die Berge unter die Stollen. Stellenweise ist die Piste so eng, dass wir bei Gegenverkehr die Zweiräder in den Berghang kippen müssen, aber alles geschieht mit Lachen und Winken und völlig ohne Hast und Eile. Einzig die Kinder versuchen uns in die Irre und so in ihre Dörfer zuleiten. Zwischendurch legen wir Pausen ein und genießen den phantastischen frisch gepressten Orangensaft oder Thé à la Menthe. Die Tour nimmt längere Zeit in Anspruch als wir geplant hatten und so fahren wir die letzten Kilometer in der Dämmerung, die uns phantastische Blicke auf die nördlich gelegene Bergkulisse und gen Westen Richtung Sonnenuntergang erlaubt.
Entlang des Draa und durch die Stadt Agdz touren wir durch das Vallée du Draa gen Süden bis Zagora, wo wir eine schöne Herberge mit herrlichem Garten finden. Die Motorräder passen nicht in den Hof und so verdient sich ein Guide einige Dirham damit, dass er neben unseren Motorrädern sein Nachtlager aufschlägt. Er will uns eine Freude bereiten und „wäscht“ mit einem sandigen Lappen und mit einer Pfütze an Wasser unsere Motorräder und strahlt uns an, als er uns des Morgens unsere sandgeschrubbten Bikes präsentiert! Was soll´s, der „Glanz“ hat eh schon im Sandstrahlgebläse des Erg Chebbi gelitten. Wir machen eine Tagestour nach Mhamid, ca. 100 km entfernt, an die Grenze zu Algerien. Mhamid, am Erg Chegaga ist heute eine vergleichsweise wenig besuchte Wüstenoase, jedoch immer noch Ausgangspunkt für Wüstensafaris. Früher war es ein Nomadenzentrum und Anlaufstelle für durchreisende Karawanen. Es ist ausgesprochen heiß und wir unterbrechen unsere kurzen Ausflüge per Pedes immer wieder in einer schattigen Anlage. Wir trinken Tee und Orangesaft, dösen im Schatten und tanken Energie. Zurück in Zagora fällt Jürgen auf, dass er wohl dort sein Handy liegengelassen hat! Das heißt 100 km in die Wüste und retour, evtl. sogar vergeblich. Im Garten sitzend und über das Schicksal des Handys sinnierend fällt uns – warum auch immer – eine Gruppe marokkanischer Männer auf, die in Aussehen und Verhalten auf uns einen gebildeten Eindruck erwecken. Wir sprechen sie zunächst auf Französisch und dann auf Englisch an – und siehe da, es sind die Lehrer der Schule von Zagora. Mit einem von ihnen können wir uns bestens verständigen, wir erklären unser Problem und er weiß die Lösung: er ruft in Mhamid im Riad an, erklärt worum es geht: Einer der Werktätigen aus der Anlage, der in Zagora wohnt, hat das Handy gefunden und bringt es am nächsten Tag mit! So gelangen wir nicht nur wieder in den Besitz des Handys, sondern erhalten auch noch eine Führung durch Zagora und tiefe Einblicke in die Aus-Bildungslage der Stadt. Zurück in Deutschland revanchieren wir uns mit einigen Paketen an Schulmaterial in den marokkanischen Süden.
Auf dem Weg in den Antiatlas machen wir einen Abstecher in den Westen nach Tazzarine, um einen Bekannten aus unserer Straße in der Heimat zu treffen, der mit einem Kumpel ebenfalls auf zwei Rädern in Marokko unterwegs ist. Auf einem netten Campingplatz mit einem Pool, der eher die Größe einer Badewanne hat, verbringen wir einige Zeit mit dem Austausch von Strecken, Erlebnissen und auch Biertrinken. Die fortwährenden Machosprüche von Dieters Begleiter sind aber weder für mich noch für Jürgen dazu angetan, das Treffen auszudehnen und so fahren wir nach einer wohl behüteten Nacht – es hat ein Berber sein Nachlager von Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang vor unseren Zelten zur Wache aufgeschlagen – wieder alleine gen Westen.
Die berühmten blauen Berge und die vielen großen, von Regen und Wind geschliffenen Felsformationen aus Granit, die lauf einen vulkanischen Ursprung dieses Teils des Antiatlas hinweisen, sind unser Ziel. Wir zelten auf einem katastrophalen Platz Nahe der Stadt Tafraoute mit wirklich grauenhaften Sanitäranlagen – und wir sind hart im Nehmen. WC und Dusche sind eins, direkt daneben ein Becken zum Waschen und Geschirr spülen und eine Kochstelle. Alles ist überhäuft mit Töpfen, Tellern und Dosen des Platzwartes und völlig verdreckt. Zudem bereitet der Platzwart immer dann seine Speisen oder spült Geschirr, wenn ich die sogenannten Sanitäranlagen benutzen möchte. Fazit: duschen wird völlig überbewertet und die Toiletten kann man auch im Restaurant benutzen. Kochen tun wir hier sowieso nicht. Die überall auf dem Platz herumlungernden halb verhungerten Katzen runden das Bild des Schreckens ab und Schatten gibt es auch keinen. Wir bleiben zwei Nächte und erhalten am zweiten Abend von einem netten Kellner bei Tajine und Couscous einen tollen Tipp für einen Platz im Ait Mansourtal.
Die Strecke von Tafraoute nach Ait-Mansour ist nur 30 Kilometer lang. Tafraoute liegt etwa 1000 m hoch, der Pass nach Ait-Mansour liegt auf 1700 m. Über enge aber recht gut ausgebaute Haarnadelkurven erreichen wir schnell das Oasental auf 1200 m. Wir finden den Platz, ein Paradies, allerdings für unsere Motorräder absolut unzugänglich, die bleiben auf der anderen Wegseite in der Garage beim Platzwart stehen. In unmittelbarer Flussnähe befinden sich die mit Schilfmatten abgeteilten und teils überdachten Campingparzellen, ein Schilftor, dass der Platzwart jedes Mal – für uns unbemerkt – hinter uns verschließt und wieder für uns öffnet, sobald wir die Parzelle betreten, gibt nach dem Platz in Tafraoute ein Gefühl von Heimeligkeit und Privatsphäre. Dazu tragen auch die mit Teppichen ausgelegten Böden bei. Wir nehmen gerne das Angebot an, unsere Mahlzeiten vom heimischen Herd zu genießen und können Abends immer wählen – zwischen Couscous und Tajine, aber alles ist ausgesprochen frisch und lecker. Die Zutaten stammen aus dem Garten, den die Tochter des Hauses bestellt. Wir machen phantastische Touren durch das Oasental und genießen die Abgeschiedenheit der Gegend und unserer Parzelle.
Schweren Herzens geht es weiter über den Tizi n´Test Richtung Imlil. Von hier aus wollen wir den Toubkal besteigen. Der Tizi n’Test-Pass bildet mit rund 2100 m den höchsten Punkt der Verbindungsstraße zwischen Marrakesch und Taroudannt. Die einspurige und sehr kurvenreiche Verbindung ist verkehrstechnisch wenig bedeut–sam und eigentlich nicht als Straße zu bezeichnen. LKWs und Busse verkehren vergleichsweise selten, man könnte fast von einem Motorradeldorado sprechen. Die Strecke führt durch landschaftlich reizvolle und kaum erschlossene Gebiete und erlaubt phantastische Ausblicke in die Landschaft, die ich aber bei unserer ersten Befahrung nicht gänzlich ungetrübt genießen kann. Die Aussichten und Einblicke in die tiefen Abgründe sind für jemanden mit Höhenangst eine Herausforderung an die richtige Blickführung. Drei Jahre später werde ich aufgrund der „Erfahrung“ die Strecke genießen. Ortschaften passieren wir kaum, die Besiedlung ist extrem dünn.
Unser Fernziel im Hohen Atlas ca. 60 km südlich von Marrakesch ist der Djbel Toubkal, mit 4167 Metern der höchste Berg Marokkos. Wir übernachten in Imlil, adaptieren an die Höhe und lassen unsere Bikes hier für die Besteigung zurück. Der Toubkal soll im Sommer auch für wenig geübte Alpinisten vergleichsweise einfach zu besteigen sein wenn man über eine gute Kondition verfügt. Wir sind fit und glauben den Angaben im Führer, planen Auf- und Abstieg in zwei Tagen, will heißen: von 1700 m auf 3200m zur Neltner Hütte, übernachten, von hier auf die Spitze und zurück nach Imlil. Über Aroumd und das Marabout-Heiligtum Sidi Chamharouch steigen wir zur Hütte. Am nächsten Tag geht es weiter, doch das Gipfelkreuz erreichen wir nicht. Auf etwa 4060 m angekommen macht mir das Gedränge am Gipfelkreuz Sorge um einen festen Stellplatz für meine Füße wie gesagt: Höhenangst. Wir lassen es für diesmal gut sein und genießen wunderschöne Panoramablicke über den Süden Marokkos und das weiter südlich gelegene Saharavorland. Wie geplant beginnen wir den Abstieg nach Imlil. Das Dorf erreichen wir total erschöpft, „überfallen“ sofort ein Restaurant und essen uns gefühlt durch die komplette Speisekarte – die Essensrationen auf der Hütte waren einfach zu knapp und die mitgeführten Vorräte auch nicht ausreichend bemessen, um das Defizit auszugleichen. Danach duschen und ab ins Bett. Für den nächsten Tag steht die Weiterfahrt an den Atlantik auf dem Programm.
Bereits das Aufstehen am nächsten Morgen gestaltet sich schwierig. Die Beine schmerzen, gehen erscheint zunächst kaum möglich, die Treppen zu den Bikes in der Garage nehme ich rückwärts, immer abgestützt auf dem Treppengeländer! Na, das kann ja heiter werden. Irgendwie schaffe ich es, mein Gepäck nach unten zu schleppen, die Maschine zu beladen und sogar aufzusteigen. Wie sollen jetzt die Füße auf die Rasten??? Na, durchs Dorf fahren kann man ja mal mit den Füßen auf dem Boden, wir müssen sowieso ständig anhalten. Irgendwann gelingt es mir, die Füße dort abzustellen, wo sie hingehören. Nur wenn ich sie wieder runterholen muss, um die Maschine beim Anhalten zu stützen muss ich das planen! Aber meistens gehören die Füße ja auf die Rasten. Die Strecke nach Essaouria ist fahrerisch wenig anspruchsvoll und ein schönes Riad mit Pool schnell gefunden – das Gepäck wieder in die erste Etage zu schleppen dauert halt etwas länger. Bei den Spaziergängen, die wir in den nächsten Tagen durch die schöne Stadt machen, stören einzig die sehr hohen Bürgersteige, die muss ich nämlich seitlich heruntersteigen!
Weiter fahren wir am Atlantik entlang Richtung Norden. Teilweise ist die Landschaft einzigartig schön, stellenweise aber auch komplett verbaut und oftmals verschandeln auch noch Fabrikanlagen die Szene. In Oualidia legen wir einen Strandtag ein. Der Atlantik ist hier sehr rau und auch kalt, so ist an Schwimmen kaum zu denken. Es macht aber Spaß, die Fischer zu beobachten, wie sie mit der Macht des Ozeans umgehen, um mit den kleinen Booten zwischen den Felsen ins offene Meer zu gelangen. Junge Marokkaner bieten am Strand frische Seeigel an, wir trauen uns nicht: Wie isst man die? Sind die wirklich frisch?…. Am Abend aber genießen wir mit einem gut gekühlten Weißwein die besten Austern, die wir je gegessen haben. Sorry ihr französischen Austernzüchter aus dem Norden, es war leider so! Ansonsten hat die Stadt für uns nicht viel zu bieten und so fällt der Abschied trotz der kulinarischen Genüsse nicht schwer.
Casablanca ist unser nächstes Ziel, wir wollen campen. Unser Führer weist einen schönen Platz in Stadtnähe aus, eine Buslinie verbindet den Platz mit der Innenstadt. Der Verkehr ist schon gewaltig, wir sind völlig entwöhnt von mehrspurigen Straßen und schnell fließendem Verkehr aus Autos, Bussen, Mopeds und vielem mehr. Wir lassen uns trotzdem nicht aus der Ruhe bringen und finden den wirklich schönen Campingplatz. Der Bustransfer in die Stadt und zurück funktioniert für marokkanische Verhältnisse sehr gut. Casablanca mit etwa 3.3 Millionen Menschen südlich der Hauptstadt Rabat gelegen ist die größte Stadt Marokkos. Die Hauptsehenswürdigkeit der Wirtschaftsmetropole ist die Mosche von Hassan II, sie wird als die fünft größte weltweit eingestuft, legt man die Höhe des Minaretts als Maßstab an, so ist sie die höchste. Neben Moderne, Reichtum und europäischem Flair findet man Seite an Seite auch Armut, Slums und traditionelles wie die Wasserverkäufer. Wir sind recht schnell erschöpft von der Großstadt und haben nach einigen Stunden genug gesehen. Vielleicht sind wir auch ein Stück entwöhnt von der Hektik, dem Lärm und der Enge durch Gebäude und Menschenmassen. Am nächsten Tag brechen wir auf und nach Durchfahrt und kurzem Aufenthalt in Meknes erreichen wir Fes.
In Fes und Umgebung wollen wir uns einige Tage aufhalten. Fes ist die drittgrößte Stadt Marokkos und die älteste der vier Königsstädte. Die Stadt, gegründet von Idriss I im 8. Jahrhundert und von Idriss II weiter ausgebaut, war schon in frühester Zeit Drehscheibe für den Handel im Maghreb und hat sich entsprechend rasch entwickelt. Die reiche Kaufmannstochter Fatima hat die Universität und Mosche al Qarawiyin im 9. Jahrhundert gegründet und so entwickelte sich Fes zu einem wichtigen Zentrum des Islam. Die vergleichsweise fruchtbare Tiefebene tut das Ihre hinzu, dass Fes bis heute einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung und die Lage des Landes leistet. Seit 1981 hat die Altstadt den Status Unesco Welterbe und zieht zahlreiche Touristen an. Wir leisten uns für den ersten Tag der Stadtbesichtigung einen Führer. Dieser spricht recht gut Deutsch und so erfahren wir eine Menge über die Stadt(teile), besichtigen recht problemlos einige Läden, ohne zum übermäßigen Kauf genötigt zu werden und Tipps für authentische Restaurants gibt es auch. Diese wollen wir am nächsten Tag alleine aufsuchen. Das gelingt uns auch, obschon in den engen und engsten Gassen das GPS nicht (gut) funktioniert.
Unser nächstes Ziel, Chefchaouen, liegt im Rifgebirge. Auch wenn es zahlreiche Warnungen vor Steine werfenden Kindern und Haschhändlern gibt – die hatten wir ja bereits vor einigen Wochen bei unserem allerersten Stopp auf marokkanischem Boden „kennen gelernt“ – wollen wir die Gegend und die schöne Stadt besuchen. Wir erreichen die Stadt über die schöne Nebenstrecke und fühlen nach mehreren Wochen in Marokko bereits die Nähe zu Europa. Während einer der routinemäßigen Inspektionen unserer Ausrüstung stellen wir fest, dass sich die Halterungen von Jürgens Alukoffern aufgrund der häufigen, eigentlich ständigen Vibrationen gelöst haben. Wir finden nach kurzem Suchen eine Werkstatt, die das Ganze im Blindflug, Schutzschilde für die Augen gibt es nicht, wieder schweißt – doch noch nicht in Europa angekommen!
Anschließend wollen wir noch einige Tage am Mittelmeer in Oued Laou verbringen. Wie sich herausstellt eine schlechte Idee. Der Strand ist nicht besonders schön, das Meer recht voll mit kleinen unangenehmen Quallen, in den Restaurants sitzen Männer in traditionell marokkanischer Kleidung und genießen die Getränke und Filme des amerikanischen Exports, während sie ihre Frauen und Kinder in möglichst großer Entfernung an den Strand verbannen. Hier versuchen die Damen in voller Bekleidung ihre Kinder beim Spielen im Wasser zu beaufsichtigen. Wir fahren weiter!
Von Martil aus, einer quirligen Kleinstadt am Mittelmeer, besuchen wir Tetouan und Tanger. Tetouans Altstadt ist durchaus sehenswert, sie besitzt Unesco Welterbestatus und macht mit zahlreichen Touristen auf den ersten Blick einen sehr westlichen Eindruck. Bei genauerer Betrachtung füllen auch hier die Männer die Cafés und Restaurants und nirgendwo zuvor haben wir so viele Frauen in Tschador gesehen wie hier. In Tanger treffen wir auf griechische Legenden, wurde die Stadt doch angeblich von Posaidons und Gaias Sohn Antaios gegründet und die Straße von Gibraltar durch Herkules starken Arm geschlagen, um Mittelmeer und Atlantik zu verbinden. Legenden hin oder her, die Stadt mit Blick auf Europa hat ihren besonderen Reiz, nicht nur durch die Gewalten der Natur, die hier insbesondere in Form heftiger Winde an uns und unseren Bikes zerren. Beim Versuch die Motorräder auf einer Anhöhe mit Blick auf die Bucht zu parken gelingt es mir nur mit Hilfe abzusteigen, der Wind droht mich umzuwerfen.
Martil ist unsere letzte Station in Afrika. Einerseits verlassen wir mit Wehmut den Kontinent, andererseits können wir aber auch nicht verhehlen, dass wir uns freuen wieder auf bunt gekleidete und lachende Menschen zu treffen, die sich offensichtlich über die Schönheiten des Lebens freuen und es genießen.
Über Ceuta nach Algeciras, vom Mittelmeer nach Matalascanas an den Atlantik, durch Spanien und Frankreich erreichen wir nach etwa einer weiteren Woche „on the road“ Deutschland. Zwei Monate nach unserem Aufbruch, rund 5.000 km mit dem Auto und 6.250 km in Marokko auf den Motorrädern sowie reich an Erfahrungen kommen wir wohlbehalten wieder zu Hause an. Wir sind froh, die Reise unternommen zu haben, schließen aber auch überglücklich unsere Kinder in die Arme. Sie haben sie Auszeit von den Eltern toll gemeistert und bereiten uns einen überwältigenden Empfang.
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